Bezeugung des Glaubens in der Fundamentaltheologie

Prof. em. P. Dr. Stephan Otto Horn SDS

Herausgegeben von Heim, Maximilian / Pech, Justinus C.

Zur Mitte der Theologie im Werk von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.

Pustet Verlag
ISBN 978-3-7917-2545-1
216 S, Hardcover

EUR 24,95

Nr 6 der Reihe Ratzinger-Studien

Die Beiträge nähern sich der Mitte der Schriften Benedikts XVI. aus unterschiedlichen Richtungen. Nach einer Einordnung des Werks Ratzingers in den theologisch-geistesgeschichtlichen Kontext, widmen sich namhafte Experten fundamentaltheologischen, christologischen, ekklesiologischen sowie konfessions- und inkulturationsbezogenen Fragestellungen.

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Dieser Beitrag zur Fachtagung im November 2012 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz, die unter dem Thema „Die Mitte der Theologie von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI.“ stand, ist im gleichnamigen Tagungsband, herausgegeben von Abt Maximilian Heim und Justinus C. Pech, in der Reihe „Ratzinger-Studien“ als Band 6 im Pustet-Verlag Regensburg im Juni 2013 erschienen.

Stephan Otto Horn SDS
Die Bezeugung des Glaubens in der Fundamentaltheologie
von Joseph Ratzinger

In seinen geistlichen Erwägungen „Auf Christus schauen“ sieht Joseph Ratzinger die gegenwärtige Krise des Glaubens vor allem im „Ausfall der Verifikation des Glaubens im Leben der Christen“ begründet.1 An anderer Stelle verweist er dafür besonders auf das Fehlen der Freude im Leben der Gläubigen – nach ihm „sicher ein weit stärkerer Grund der Entkirchlichung als all die theoretischen Probleme, die der Glaube heute aufgeben mag“.2 Im Gegensatz dazu war die missionarische Kraft der frühen Kirche „Frucht der Bewährung des Glaubens“, „reale Einladung von Erfahrung zu Erfahrung“.3 Es genügt deshalb für eine neue Evangelisierung nicht die kluge Darlegung einer „in sich schlüssigen Wahrheit“. Vielmehr braucht es zusammen mit ihr die Bewährung im Leben dieser Wahrheit. Nur das Ineinander von Wahrheit und Bewährung kann „jene eigene Evidenz des Glaubens aufleuchten lassen, auf die das menschliche Herz wartet“.4 Der Gläubige kann für einen beginnenden Glauben ein „Fenster für das Licht des lebendigen Gottes sein“; ein „beginnender Glaube sollte sich an ihn sozusagen anlehnen können“.5 Im Vorblick auf seine Reise nach Deutschland drückt Papst Benedikt es so aus: „Und endlich, in der Begegnung von Menschen, die von Gott angerührt worden sind, sehen wir gleichsam Gott. Ich denke nicht nur an die Großen: von Paulus über Franz von Assisi bis zu Mutter Teresa; sondern an die vielen einfachen Menschen, von denen niemand spricht. Und doch, wenn wir ihnen begegnen, geht von ihnen etwas von Güte, von Lauterkeit, von Freude aus, dass wir wissen, da ist Gott, und dass er uns anrührt.“6

In wenigen Strichen will ich diese Sicht von Joseph Ratzinger näher darstellen und begründen. Im eben genannten Buch „Auf Christus schauen“ vertritt Ratzinger unter Berufung auf das Erste Vatikanische Konzil die Auffassung, dass der Mensch von sich aus trotz aller Offenheit für Gott nicht zu einer konkreten Gottesbeziehung komme. Gott müsse „zu ihm herüberkommen“.7 Und auf die Frage, wie das geschehen könne, antwortet er: „Die Anrede Gottes gelangt zu uns durch Menschen, für die er konkrete Erfahrung geworden ist.“8 Damit bezieht er sich auf die Gotteserfahrungen innerhalb des biblischen Gottesglaubens, die in Jesus kulminieren. Er ist „der große Sehende“, der sagen kann: „‚Wer mich sieht, hat den Vater gesehen‘ (Joh 14,9).“9 Wem die Berührung mit Jesus geschenkt wird, nimmt teil an seiner Gottesschau. Jesus gehört in den Namen Gottes hinein. Und so bezeugt er Gott als einen Gott, der Beziehung schenkt, der Liebe ist. Dies geschieht zutiefst in der Hingabe Jesu am Kreuz, in der die Liebe Gottes des Vaters sichtbar wird.

Nun stellt sich freilich die Frage, wie Joseph Ratzinger von der Schau Jesu fortschreitet zu der Glaubensschau der Christen, damit sie für andere wie ein „Fenster“ sein können „für das Licht des lebendigen Gottes“10. Er antwortet auf die Frage, wie der suchende Mensch heute Christus begegnen kann mit der Überzeugung, dass die wahrhaft Glaubenden Jesus Christus vergegenwärtigen. Wie versteht und begründet er dies?

Er begründet seine Sicht sakramental. Diese sakramentale Begründung möchte ich hier zunächst im Blick auf die Eucharistie andeuten. Mit Augustinus sieht er in der Eucharistie das Geschehen einer Verwandlung des Christen, der in der Kommunion den Leib Christi empfängt. Denn so kommt er in Berührung mit der Liebe Christi und wird eins mit ihm. Die Eucharistie ist die Vergegenwärtigung der Liebe Gottes des Vaters im Gegenwärtig-werden der Hingabe Jesu Christi am Kreuz. So geschieht in der Kommunion eine Einung mit Gott. Diese Einung, Erfahrung des Geliebt-seins, Erfahrung tiefer Freude an Gott, kann den Menschen verwandeln. Er wird ein neues Leben haben, das Liebe und Freude ausstrahlt. So wird der Gläubige zum Zeugen, in dem Christus gegenwärtig ist und dessen Licht und Liebe aus ihm leuchtet.

Diese sakramentale Begründung aus der Eucharistie setzt freilich eine Begründung aus der Taufe voraus, die den Weg zum Glauben einschließt. Annahme des Glaubens bedeutet für Joseph Ratzinger einen inneren Weg, eine existentielle Wende, eine Umkehr. Die Überzeugung, dass der Glaube Umkehr bedeutet, tritt uns in Ratzingers Schriften oft entgegen. Das Hereintreten des unsichtbaren Gottes in Raum und Zeit, das allein in Jesus von Nazareth in den Blick tritt, erfordert eine Lebenswende in der Gestalt der Nachfolge, es erfordert Angleichung an die Gottesbeziehung und das Leben Jesu. So gilt nun: „Gotteserkenntnis ist ein Weg; er heißt Nachfolge.“11 Dabei hebt Joseph Ratzinger – Papst Benedikt zwei Dimensionen hervor. Die erste ist für seine Theologie besonders bezeichnend. Er sieht die einzigartige Gottesbeziehung Jesu begründet in seinem Gebet. Seine ganze Existenz ist zutiefst Gebet, Haltung des Sohnes, der Gott Abba nennt, und so in der Haltung eines absoluten Vertrauens und absoluter Hingabe. In seine Beziehung zu Gott, in seine Gotteserkenntnis wird nur der eintreten können, der betet und sich so in die Nachfolge Jesu stellt. Dies hebt Ratzinger besonders in seinen „Versuche(n) zu einer spirituellen Christologie“ hervor.12 Die zweite Dimension unterstreicht er besonders in der Enzyklika „Deus caritas est“. Dort beschreibt er den Weg des Glaubens im Unterschied zu religiösen Versuchen, die einen Aufstieg zu Gott bedeuten. Der christliche Weg des Glaubens gründet in einem Herabsteigen Gottes zu uns. Er ist nur dann möglich, wenn der Mensch sich in die Bewegung Gottes hinein nehmen lässt und seine Existenz zu einem Leben der Demut und der Liebe verwandeln lässt. Gerade so wird er Gott im tiefsten Sinn erkennen können.13

Die Nachfolge Jesu, das Eintreten in seine Gesinnungen, ermöglicht nun auch von Seiten des Menschen her eine immer tiefere Einung mit Jesus in der Eucharistie, die in das tägliche Leben hineinreicht. Das ist der tiefere Grund, warum Joseph Ratzinger sagen kann: „Das Licht Jesu reflektiert sich in den Heiligen und strahlt von ihnen wider. ‚Heilige‘ aber sind nicht nur die namentlich kanonisierten Personen. Immer leben verborgene Heilige, die in der Gemeinschaft mit Jesus einen Strahl von seinem Glanz empfangen, konkrete und reale Erfahrung Gottes.“14

Von da aus gelangt Joseph Ratzinger vor allem im Anschluss an Thomas von Aquin zu der Auffassung, dass die Schau der Heiligen „Bezugspunkt des theologischen Denkens wird, der seine Rechtmäßigkeit verbürgt“. Er sagt im Blick auf die Arbeit der Theologen geradezu: „Sie verliert ohne diesen Bezugspunkt, ohne die innerste Verankerung in solcher Erfahrung ihren Realitätscharakter.“15

Hier rundet sich der Kreis dieses Entwurfs. Wir hatten gesehen, dass für Joseph Ratzinger die eigene Evidenz des Glaubens im Ineinander von Einsicht in die Wahrheit des Glaubens und von seiner Bewährung im Leben liegt. Nun hat sich gezeigt, dass die Erfahrung Gottes im Leben wahrhaft gläubiger Christen und die Theologie nicht unverbunden nebeneinander stehen. Die Berührung der Heiligen mit der Wirklichkeit Gottes ist für die Theologie vielmehr von höchster Bedeutung.16

Ich schließe mit einem Wort von Marianne Schlosser: „Gott zu gehören und ihn zu bezeugen (adoratio und missio) sind zwei Seiten eines Seins. Das wirksamste Zeugnis aber geschieht nicht durch Worte und Beweisführungen, selbst wenn diese vieles vermögen. Die sicherste Apologie – so bekennt ein Intellektueller wie Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI. -, seien für ihn (neben der Kunst) die Heiligen, und zwar nicht nur die großen Gestalten, sondern gerade die ‚einfachen Heiligen‘, ‚die guten Menschen, denen ich in meinem Leben begegne, und die wohl nie heiliggesprochen werden. In ihrer täglichen Güte sehe ich die Wahrheit des Glaubens‘.“17

1 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung und Liebe, Freiburg-Basel-Wien 1989, 38.

2 Joseph Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie, München 1982, 79.

3 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 39.

4 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 39.

5 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 37-38.

6 „Wort zum Sonntag“ in der ARD am 17. September 2011 – Botschaft seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI., in: Apostolische Reise seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg 22.-25. September 2011., Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 189, 14.

7 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 31.

8 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 31.

9 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 34.

10 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 37.

11 Dogma und Verkündigung, München-Freiburg 1973, S. 99.

12 Joseph Ratzinger, Schauen auf den Durchbohrten. Versuche zu einer spirituellen Christologie, Eínsiedeln 1984. Unter der dritten These „Weil das Gebet Zentrum von Jesu Person ist, ist Beteiligung an seinem Beten Voraussetzung für das Erkennen und Verstehen Jesu“ (23) schreibt er: „Wo keine Gottesbeziehung besteht, bleibt auch der unverständlich, der zuinnerst nichts anderes als Beziehung zu Gott dem Vater ist. Folglich ist die Beteiligung an der Gesinnung Jesu, d.h. an seinem Beten, das (wie wir sahen) Akt der Liebe, der Selbstschenkung an die Menschen ist, nicht irgendeine fromme Zutat zur Lektüre der Evangelien… Genau umgekehrt ist dies die Voraussetzung, damit eigentliches Verstehen im Sinn heutiger Hermeneutik – nämlich Gleichzeitig-werden und Gleichsinnig-werden – sich zutragen kann…“ (24).

13 In Nr. 13 führt Papst Benedikt aus: „Die Eucharistie führt uns in den Hingabeakt Jesu hinein. Wir empfangen nicht nur statisch den inkarnierten Logos, sondern werden in die Dynamik seiner Liebe hineingenommen. Das Bild von der Ehe zwischen Gott und Israel wird in einer zuvor nicht auszudenkenden Weise Wirklichkeit: Aus dem Gegenüber zu Gott wird durch die Gemeinschaft mit der Hingabe Jesu Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut, wird Vereinigung: Die ‚Mystik’ des Sakraments, die auf dem Abstieg Gottes zu uns beruht, reicht weiter und führt höher, als jede mystische Aufstiegsbewegung des Menschen reichen könnte.“ In Nr. 17 fügt er hinzu: „Das Erkennen des lebendigen Gottes ist Weg zur Liebe, und das Ja unseres Willens zu seinem Willen einigt Verstand, Wille und Gefühl zum ganzheitlichen Akt der Liebe.“

14 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 34.

15 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 35.

16 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen, 34-36; vgl. auch die in Anm. 12 genannte dritte These in: Joseph Ratzinger, Schauen auf den Durchbohrten.

17 Marianne Schlosser, Berufen zur Heiligkeit. Anmerkungen zum 5. Kapitel von Lumen gentium, in: Jan-Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg-Basel-Wien 2012, 283-302, Zitat 301-302 (unter Verweis auf die Ansprache zur Generalaudienz von Papst Benedikt XVI. am 13. 4.2011 und auf sein Werk „Zur Lage des Glaubens“, München 1985, 134). Vgl. auch vom Verfasser „Zur Spiritualität von Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt“, in: Michaela Christine Hastetter und Helmut Hoping (Hg.), Ein hörendes Herz. Hinführung zur Theologie und Spiritualität von Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI. (Ratzinger-Studien, Band V), Regensburg 2012, 90-104.