• Horst Bürkle
    Mission heute – der bleibende Auftrag und seine aktuellen Schwerpunkte

Prof. Dr. theol. Horst Bürkle – LMU München, Vortrag am 29. August 2009 in Castelgandolfo

Mission heute – der bleibende Auftrag und seine aktuellen Schwerpunkte

1. Gründe für die erneute Besinnung auf den Missionsauftrag.

Warum ist es notwendig, über „Mission“ als dem wesentlichen und bleibenden Auftrag des Herrn an seine Kirche neu nachzudenken? Dafür gibt es drei Gründe:
1.) In der pluralistisch, individualistisch und säkular bestimmten Geisteslage unserer Gesellschaften ist der Begriff negativ besetzt. Mission – das klingt nach religiösem Absolutheitsanspruch. Die Frage nach gültiger Wahrheit ist den Diskursen beliebiger und wechselnder Ansichten gewichen. Mission als Zeugnis der Wahrheit erscheint als unberechtiger Anspruch des Zeugen an andere. Mission steht für eine latente Letztgültigkeit in einer weltlich gewordenen Welt. Hier in der Geschlossenheit der reinen Immanenz bleibt „Religion“ als solche befremdliche Fehlorientierung.

2.) Mission ist in der globalen Landschaft der sich begegnenden und ko-existenten verschiedenen Religionen zum Störfaktor geworden. Einst regional und ethisch entstandene ‚Religionen‘ entwickeln eigene Botschaften an die Menschheit. Im Horizont dieser universalen Geltungsansprüche wird die Botschaft des Evangeliums integriert und relativiert. Wir haben es mit einem ‚paradoxen‘ Vorgang zu tun: Der neue religiöse Geltungsanspruch „für Alle“ wird vom Christentum übernommen.
Die im Christusgeschehen begründete weltweite Geltung von ihrem geschichtlichen Stiftungsgrund abgelöst. Gott in Jesus Christus wird zu einem Sonderfall im umfassenderen Rahmen der eigenen Tradition. Integration, nicht länger Mission bestimmt das interreligiöse Beziehungsfeld zum Christentum. In dieser veränderten religiösen Lage steht ‚Mission‘ für die unaufgebbare Identität von Kirche und Christsein in der trinitarischen Christuswirklichkeit.

3.) Theologisch sind die Folgen dieser Veränderungen wahrnehmbar. Die Mission kommt im Kanon der theologischen Ausbildung, wenn überhaupt, nur noch am Rande vor. Die ins Zentrum der systematischen Theologie rückenden fremden Religionen erscheinen nicht unter dem Aspekt der Sendung der Kirche. Dialog und Mission erscheinen beziehungslos. Konkret bedeutet es: Religionswissenschaftliche Themen haben die missionsbezogenen Themen abgelöst. Einzelne Für diesen Zusammenhang geschaffene Lehrstühle in einzelnen evang.-theologischen Fakultäten sind teilweise zu Praxis- und Übungsfeldern fremdreligiöser Praktiken (z.B. Zen/Yoga) geworden. Insgesamt stehen wir vor der Aufgabe, der Mission der Kirche theologisch und in der Verkündigung den ihr zukommenden Platz einzuräumen.

Meine Erfahrung in vier Jahrzehnten: Ein Kolleg mit einem fremdreligiösen Thema garantierte einen ansehnlichen Hörerkreis, eines über ein regionales oder geschichtliches Missionsthema kaum.
1.1 Zum Verhältnis von Mission und Dialog.
Missionarische Verkündigung wurde in der Geschichte der Mission immer als Weitergabe der Offenbarungswahrheit verstanden. Diese Wahrheit war und bleibt das zu Unterscheidende‘ das Neue. Diese Botschaft wird vernommen unter den Bedingungen der jeweiligen völkischen, geschichtlichen, kulturellen und religiösen Beheimatung der Empfänger. Dialogisch ist dieser Vorgang insofern‘ als er sich in der von Gott geschenkten besonderen Situation des Empfängers vollzieht. In seinem gerade auch für den missionarischen Auftrag gültigen Kommentar zur Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ bemerkt Joseph Ratzinger dazu:
„Ein Dialog erfordert bekanntlich als Bedingung seiner Möglichkeit dreierlei:
Zunächst sich gegenüberstehende Partner, zwischen denen einerseits ein gewisser Unterschied oder sogar Gegensatz.. bestehen muß, über den das Gespräch hinaus führen will, zwischen denen aber anderseits ein Minimum am Übereinstimmung nötig ist….Wenn man auf die Dialoge Jesu oder auf die frühchristliche Missionspredigt als die damalige Form des Dialogs mit den Nichtchristen achtet, so fällt auf, daß dieser Dialog sich keineswegs an völlig Fremde wandte, sondern innerhalb eines gemeinsamen Klimas ausgetragen wurde.“(LThK, Bd. 14, S. 314 f.)

Der im Sohn Fleisch gewordene Logos Gottes konnte sich auf das im Alten Bund ergangene Wort Gottes beziehen – so im Blick auf die Juden – sowie auf die griechisch-platonisch vorprägte Logos-Tradition im Blick auf die Griechen. Hinzukommt, daß diese ‚Inkulturation‘ der missionarischen Botschaft ihrerseits bereits vorbereitet war durch den vorgängigen jüdisch-griechischen Dialog in der Diaspora des Judentums. Im derzeitigen Paulus-Jahr haben wir besonderen Anlaß diese neutestamentliche Vorgabe missions-theologisch wieder voll auszuwerten. Indem in der johanneischen Tradition Jesus Christus mit dem schöpferischen Logos theou ap, archä identifiziert wird, erhalten beide Traditionen ihre vorbetreitende, auf Ihn hin angelegte Rolle.
Wenn auch nicht im gleichen Sinne, so gilt doch Analoges von jeder späteren Situation für den dialogischen Charakter der missionarischen Verkündigung. In diesem Sinne setze ich in Geltung, was in dem bereits genannten Kommentar zum Konzilsdekret gesagt wird; obwohl hier die Lage der gesamten heutige Menschheit und nicht eine besondere Inkulturationssituation im Blick ist:
„Das Konzil“ – so sagt der Kommentator – „beabsichtigt, vor allem jene Werte, die heute besonders in Geltung sind, in diesem Lichte zu beurteilen und auf ihren göttlichen Ursprung zurückzuführen….(Art. 11. – a.a.O‘ S. 315).

Beurteilen erfordert demnach beides: Aufnehmen und Unterscheiden. Der Dialog ist damit immer auch Diakrisis im Lichte des wahren Logos: „Infolge der Verderbtheit des menschlichen Herzens aber fehlt ihnen oft die notwendige letzte Ausrichtung, so daß sie einer Läuterung bedürfen“ (a.a.O.).

Damit wird die Frage nach der Wahrheit in den Kontext der Frage nach der wahren „humanitas“ verwiesen. Unausgesprochen sind dabei zwei Voraussetzungen gemacht:
1. Die mit der Geschöpflichkeit dem Menschen eigene similitudo Dei – seine ihm geschenkte Würde und Bestimmung. Zugleich gilt die Einbusse dieser seiner Bestimmung und die immer neue Suche nach ihr als Folge seiner Gottesferne.
2. Die Werte und die Ideale, die in der Geschichte der Begegnung mit der Wahrheit dieses Logos ihre Spuren hinterlassen und Menschen und Gesellschaft geprägt haben. Das gilt bis hin zu den Folgen ihrer autonomen Ablösung‘ bis zu ihrer Verselbständigung und für ihren Widerspruch zu dieser ihrer Ursprungsgeschichte
(einschließlich Aufklärung und Atheismus).

Diese beiden Momente sind nun für die Frage nach den heutigen Bedingungen für den Auftrag der Mission zu berücksichtigen. Sie sind bestimmend dafür, was sich mit dem umfassenden Begriff der „Inkulturation“ verbindet. Heutige Bedingungen – d.h. Aufnahme und Unterscheidung dessen‘ was den Menschen in ihren angestammten Ethnien mit deren vor- und außerchristlichen religiösen Wurzeln eigen ist. Hier gilt das Ja und das Nein, das „Immer schon“ und das „Noch nicht“ und darum auch das „Nicht mehr“.Die oft einseitige und darum unberechtigte Kritik aus heutiger Sicht an dieser dia-kritischen Aufgabe der frühen Missionare verkennt diese Doppelaufgabe.

Dazu ein Beispiel:
Wenn der „Missionar der ersten Stunde“ die Kultobjekte magischen Fernzaubers entfernen ließ, dann schuf er die Voraussetzung für den Boden, auf dem die heilende dünamis des Gottessohnes Wurzeln schlagen konnte. Das war kein Widerspruch dazu, daß dieser Missionar die einzig verfügbare Bezeichnung für den in der Sprache dieses Stammes vorfindlichen Hochgottnamen für den Vater Jesu Christi übernahm. Beides war Teil des missionarischen Dialogs.

Es geht um die Doppelaufgabe, über die das Konzil hinsichtlich des Dialogs spricht: Aufnahme des vorhandenen ‚Logoshaften‘ und seine Reinigung durch den wahren Logos Jesu Christi. Inwieweit sich diese doppelte Aufgabe in der heutigen Begegnung des Glaubenszeugen mit den Menschen aus anderen Religionen und deren Kulturen in veränderter Weise wiederholt, bleibt noch an Beispielen zu erläutern.
1.2 Die heutige ‚Weltgemeinschaft‘.

Was der Konzilstext in Bezug auf die moderne Gesellschaft und ihre humanitas-Ideale sagt, gilt es im missionarischen Dialog anzuwenden auf die veränderte religiöse und kulturelle Gesprächslage. Das wesentlich Neue und Andere des Evangeliums trifft auf Menschen, die sich Werte und Wesenszüge der christlichen Anthropologie teilweise oder ganz zu eigen gemacht haben. An Stelle der christozentrischen Anthropologie – und ihr verdanken sich diese Werte –begegnen dem Missionar in solchem Dialog die neu gedeuteten außerchristlichen Heilswege. Sie stehen wie ein Vorzeichen vor einer Klammer‘ die verwechselbare ethische Inhalte aufweist. Da begegnet uns biblisches Vokabular neben philosophisch und ethisch relevanten Vorlagen europäischer Denker. Wir sprechen dann von neu-buddhistischen, neu-hinduistischen und anderen aktuell gedeuteten Botschaften fremder Religionen. Sie sind an der universalen Gültigkeit der evangelischen Botschaft ausgerichtet und verbinden damit einen missionarischen Geltungsanspruch für die Menschheit als ganze.

Der missionarische theologische Dialog erfordert auch hier das unterscheidende‘ diakritische Element. Wenn zum Beispiel die buddhistische Wegweisung zur inneren Selbstbefreiung des Individuums (nirvana) für die Menschheit als Glück Frieden und ersehnte Koexistenz aller Völker verkündet wird, bedeutet das für den Dialog einen Schritt aufeinander zu. Im Vorfeld des Evangeliums liegt dann bereits ein Stück Einvernehmen. Weil aber die wahre humanitas und die Würde des Menschen in der Einmaligkeit seiner personalen Gottesbeziehung beruht, bleibt die entscheidende dia-kritische Rückfrage an den Dialogpartner: Wie vermag gerade die Aufhebung des Personseins im Akt solcher Selbstbefreiung – sei es ’nirvanisch‘ oder ‚yogisch‘ – das angestrebte neue Sein des Menschen zu ermöglichen? Nicht in der Suche‘ sondern in der Wegweisung unterscheiden sich die gegenmissionarischen Botschaften. Nicht auf den Wegen immer neuer Anläufe ist Erlösung (ein biblisches Lehnwort!) zu finden. Sie liegt in Ihm, der der „Weg“ ist, auf dem der Vater den entfernten Menschen wieder zu sich geholt hat.
Die Nähe der Gestalt Gautama Buddhas, die Romano Guardini zur Person Jesu Christi ausmacht, setzt diese Differenz voraus. Sie macht die missionarisch-theologische Zuwendung im diakritischen Dialog geradezu notwendig.
„Einen einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis,… Vielleicht wird Buddha der Letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinander zu setzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. … Der das wollte, müsste in der Liebe Christi vollkommen frei geworden, aber zugleich jenem Geheimnisvollen… in tiefster Ehrfurcht verbunden sein“ (Der Herr, S. 360 f.).
In diesem „Zugleich“ liegt das Charisma des christlichen Missionars: Um der Liebe Christi willen – um es im Paulusjahr auf den Punkt zu bringen – ist er auch an die verwiesen, die das „Geheimnis“ des Gautama Buddha in den Rang einer Botschaft an Alle erheben. Um der Liebe Christi willen ist er aber zugleich bereit, dessen radikale Erlösungssuche ins Licht der vollkommenen und geschenkten Erlösung in Jesus Christus zu rücken. Der missionarische cantus firmus „Tua res agitur“ – oder wie das Lied es sagt: „Die Sach‘ nicht unser, sondern Dein ja ist“- gehört zu dieser Liebe, die sich dem sich mühenden Buddhisten nicht nur in Ehrfurcht, sondern in Demut verbunden fühlt.

Was Gaudium et spes als das Gemeinsame der Menschheit heute anspricht, erfordert die Übertragung in den missionarischen Bereich, wie sie Ad gentes dann vornimmt. Die mühsame Geschichte bis zur Endfassung dieses Dekretes zeigt, wie schwer die Umsetzung war: „Nach uraltem kirchlichem Brauch sollen die Motive der Bekehrung erkundet und wenn nötig gereinigt werden“ (Art. 13). „Diese Gemeinschaft der Gläubigen soll durch ihre Ausstattung mit den kulturellen Reichtümern der eigenen Heimat tief im Volk verwurzelt sein“ (Art.15).

Um diesen Auftrag zur Verwurzelung des Evangeliums geht es auch angesichts der sich überregional und zeitgemäß verstehenden fremden Kulturen und deren religiöse Wurzelböden. Diese als „Reichtum“ bezeichneten kulturell-religiösen Wurzeln haben inzwischen eigenständige botanische Vielfalt und Blütenpracht hervorgebracht. Inmitten einer den Rest der Menschheit oft verlockenden Neugestaltung dieser „kulturellen Reichtümer“ befindet sich die Kirche und ihre Mission:“Der Heilige Geist ruft alle Menschen durch die Saat des Wortes und die Predigt des Evan- geliums zu Jesus Christus“‚ so lesen wir in Art. 3 des Missionsdekrets. Die Vernehmbarkeit dieses Rufes ist um Vieles schwerer geworden. Angesichts der multi-kulturellen Angebote aus einst kulturell geschlossenen Gesellschaften erscheint dieser Ruf überflüssig. Warum, so fragen sich Viele, soll die Kirche – selber bereits Teilhaberin an dieser kulturell angereicherten neuen Gesellschaft – noch „das Geheimnis Christi verkünden“ (Art. 2). Sie ist doch schon „integrierte“ Gemeinschaft im gesellschaftlichen Miteinander.

Darum entspricht dem missionarischen Auftrag das Andere: In der Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen, beteiligt an den „kulturellen Reichtümern“‚ darf sie die Frage nach dem „Wurzelwerk“ nicht schuldig bleiben. Es geht um die Frage: Welche „Wahrheit“ das gemeinsam Erstrebte zu gewährleisten vermag. In der Vollmacht und in der Gegenwart des Heiligen Geistes vermag sie die Geister zu unterscheiden. Der missionarische Blick dringt zu den kulturellen und damit zu den religiösen Wurzeln durch. Er lässt die „Anthropozentrik“ nicht ohne die „Theozentrik“. Was sich an Erbe der Menschheit als Gemeinsames findet, ist für ihn Anlaß, die dialogisch-kritische Frage nach dem Woher und Wohin lebendig zu halten.
Ich schließe mit einem Zitat aus dem Schluß des Kommentars zu Gaudium et spes (LThK 14, S. 354). Es liest sich wie eine ‚Steilvorlage‘ für die Besinnung auf die Mission in einer geistigen Gegenwartslage, die diese für überflüssig und störend hält:“Damit kommt zuletzt die paulinische Form der Christozentrik zur Geltung, die… Christus als Mitte kennt, die ihr Ziel im Vater hat. Gerade dieses Münden in der Anbetung, in Theologie im strengsten Sinn des Wortes, rechtfertigt den anthropologischen Versuch unseres Textes, der nicht zu einer unangemessenen Form der Anthropozentrik führt, sondern im Ernstnehmen des Menschen ihn als das Wesen erkennt, das nicht in sich, sondern über sich hinaus zu sein bestimmt ist und erst bei sich selber ist, wenn es von sich selber fortgekommen ist: Abba, lieber Vater!“
2. Die „missio Dei“ in veränderten Umfeldern.

Ich beginne mit Blick auf Afrika. Die Pastoralreise des Hl. Vaters im März und die bevorstehende Synode der Bischöfe aus Afrika legen diesen Schwerpunkt nahe.

2.1.Afrika und die ekklesiologische Frage
Seit Bengt Sundklers Studie über das Prophetentum unter den Bantu des südlichen Afrika ist die Entwicklung in Richtung separatistischer kirchlicher Sondergemeinschaften im gesamten Kontinent dramatisch weitergegangen. (Ich verzichte hier auf die von David Barrett vorgelegten Statistiken.)
Welches sind die „Vorgaben“ für diese Entwicklungen aus dem religiösen ‚Wurzelboden‘ der afrikanischer Ethnien? Um es vorweg zu nehmen: Wir haben es dabei bereits mit bestimmten, sich verselbstständigenden Phänomen, soz. wildwüchsigen Phänomenen einer mißlungenen „Inkulturation“ zu tun. Die zahlreichen Stiftergestalten sind und bleiben Blut und Boden verbunden. Die zuvor durch die Mission vermittelte Botschaft „für Alle“ wird wieder regionalisiert und auf die eigene Geburtsgemeinschaft bezogen. (Es gibt darunter Ausnahmen stammesübergreifender Ausdehnung wie bei den nach dem Stifter benannten Kimbanguisten-Kirche im Umfeld des heutigen Kinshasa.)
Auf die Gründergestalt werden nicht nur Züge der Gestalt Jesu übertragen – soz. eine Weise der Vergegenwärtigung. Sie erfolgt wie einst die Rückkehr des eigenen Ahnengeistes als Geistesmächtigkeit. Die traditionelle Zeiterfahrung beherrscht die biblische Überlieferung: Im Horizont einer andauernden Jetztzeit wird eine zeitlos gegenwärtige Heilsgeschichte zum beherrschenden Gegenwartserleben.
Wie einst Jesus hat der im Propheten innewohnende Geist den unmittelbaren Zugang zu Gott dem Vater. Er sagt das Zukünftige voraus, heilt Krankheiten, bannt die Dämonen und wirkt Wunderhaftes. ‚Jesulogische‘ Züge gehen in christologische Vergegenwärtigungen über. Sie nehmen wiederum inkarnative Gestalt im hier anwesenden stammesverwandten Heilsvermittler an. Die Heilszeit ist angebrochen. Der neue Zion ist hier. Solche sich verselbständigende ‚Inkulturation‘ vollzieht sich in Gestalt einer realized eschatology.

Welches ethnische religiöse Erbe hat sich hier noch einmal der Christuswahrheit bemächtigt? Was wird hier wieder so stark, daß es nicht allein zu einer Separation von der Kirche der Mission führt‘ sondern das Evangelium nativistisch zu domestizieren vermag?
Dabei stellt sich ein ganzes Ensemble eigenständiger Nativismen wieder ein: Von der Wiederkehr des Toten über wunderwirksame Zeichenhandlungen, alte Heilungspraktiken, Visionäres, Magie und Elemente des Schamanentums. Das Ganze – als Einheimischwerdung der Kirche gedeutet – lebt vom Gegensatz und vom Widerspruch zur Kirche der Mission, die solche Fülle an Legitimationsbeweisen nicht aufzuweisen hat.

Der Missionar und seine Ortskirche werden als eine unzureichende, fehl gelaufene „Inkulturation“ betrachtet. In seiner missionarischen Verkündigung wird der Zeuge des wahren und echten Evangeliums diese ekklesiologischen Sonderentwicklungen im Auge behalten.

Wie vermag der hohe Wert der traditionellen Gemeinschaftsbindung vor seiner Verselbständigung bewahrt zu werden? Wie kann er der una sancta catholica et apostilica zugute kommen? Ihr wahres Wesen ist ja als sakramentale Einheit der Lebenden und der Toten nicht weniger real als die erlebte Ahnengeistgemeinschaft. In einer von transzendenzloser Säkularität bedrohten neuen Gesellschaft kann die alte Gemeinschaftsbindung in gereinigter, d.h. durch Christus geheiligten Form, d.h. von ihrer nativistischen Soteriologie befreit, der ecclesia Dei zugute kommen.

2.2 Die Suche nach Identität.
Alle Versuche, die Menschen in Afrika in einer allgemeinen Weise zu erfassen und zu systematisieren, stoßen hier an ihre Grenzen. Eine das jeweils Eigentümliche überschreitende allgemeine Bestimmung ihrs Afrikanerseins ist bereits die Folge von außen erfolgenden Betrachtungsweisen. Spätere Einflüsse und Entwicklungen erst machen es möglich, solche größeren Zusammenhänge zu erschließen. Das gilt insbesondere für die Übergänge zu den in der Kolonialzeit bereits vorgezeichneten und dann später eigenständig gewordenen Staatsgebilden.
Bis in die Bezeichnung des neuen Staatswesens spiegelt sich dieser Zusammenhang oft wieder. Auf seine Heimat angesprochen, lautet die Antwort: „Ich bin ein Muganda“. Das heißt: Ich bin Glied des Stammeskönigtums der Baganda mit seiner eigenen Sprache mit seiner eigenen Sprache Luganda – einer von 14 anderen in der von der britischen Kolonialverwaltung unabhängig gewordenen neuen Republik Uganda. Der traditionsreichste Stamm wird zum Namensgeber für den neuen Staat. Kisuaheli – einst als Sprache islamischer Händler landesweit verbreitet – und erst recht die Verwaltungssprachen der Kolonialverwaltungen (z.B. Englisch, Französisch, Portugiesisch) bleiben im Bewusstsein der Menschen Dritt- und Fremdsprachen.

Alle politischen und ideologischen Versuche, gesamtafrikanische Identität zu stiften, stossen in dieser Frage „Wer bin ich?“ an ihre natürlichen Grenzen. Der an den Gemeinsinn der afrikanischen Menschen anknüpfende „African socialism“ des Katholiken Julius Nyerere in Tansania und die Übertragung einer importierten marxistischen Einheitsideologie durch den 1.Staatspräsidenten Ghanas, Kwame Nkrumah, („Africa must unite“) mussten darum scheitern. Sie vermochten das tiefe religiöse ‚Wurzelwerk‘ der Geburtsgemeinschaften nicht zu erreichen und es dort zu entgrenzen. Diese Tiefe erreicht erst die neue ‚Geburtsgemeinschaft‘. Sie bleibt nicht an der Oberfläche neuer soziologischer und politischer Entgrenzungen. Sie ignoriert und verneint nicht die bestehenden Bindungen des Ahnenglaubens, sondern überführt sie in die sakramentale‘ umfassendere Einheit in der Blutsgemeinschaft im corpus-Christi.

(Anmerkung: Wir sehen in diesem Zusammenhang vom Islam in Afrika ab. Er stellt in vielen Regionen nur eine bedingte Entbindung aus dem Netzwerk des afrikanischen Ahnenkultes dar. Vorislamische Sitten und Rituale vor Ort bleiben oft erhalten. Das islamische Bekenntnis, Gebetspflichten und Fastenregeln kommen hinzu. Die Wallfahrtspflicht wird stellvertretend durch einzelne wahrgenommen. Diese Doppelschichtung von traditioneller Basispraxis und dem Bekenntnis zu Allah und seinem Propheten ist der Preis für eine schnelle Verbreitung des Islam nicht nur in Afrika).

Welche Perspektiven für die neue Existenz der Christen und für die Gemeinschaft in der Kirche eröffnen die ‚Tranzendentalien, in der nativistischen Beheimatung? In welcher Weise vermögen sie zur vollen Beheimatung und zur Vollgestalt des corpus-Christi beizutragen? Wo befördern sie diesen Zugang und wo behindern, ja – verschließen sie ihn?

2.3 Das Bewusstsein kreatürlicher Abhängigkeit.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag; denn du bist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.“ (Dietrich Bonhoeffer).

Der afrikanische Christ, der dieses Gebet spricht, erfährt das ihn bestimmende Wirkungsfeld der Geister, Ahnen und Götter durch die Macht des erhöhten Gottesohnes entmachtet. Placide Tempels „force vitale“ als zentraler Begriff seine Bantu-Philosophie ist der missionarische Versuch, diesen Wechsel theologisch zu bestimmen.
Zuwendung von das Leben erhaltenden Kräften, Gesundheit, ja – Heil im umfassenden Sinne steht im Zentrum von Riten, Gebeten und rituellen Handlungen in den unterschiedlichen Praktiken der Religionen der Stämme. Sie sind notwendige „Maßnahmen“ um das Leben des Einzelnen und, ihm vorgeordnet, das der Verwandtschaftsgruppe zu schützen und den Kommunikationsfluß mit der Ahnenwelt in Gang zu halten.

„Search for security“ hat die in Ghana arbeitende britische Therapeutin Margret Field dieses religiöse Grundgefühl benannt. Ihre Deutungen der über hundert Aufschriften auf den das Land verbindenden Ferntaxis zeigt, daß auch für Christen die in ihrem Glauben vernommene Antwort auf die Frage nach Sicherheit mit einbezogen wird. Neben den Zusagen eines garantiert wirksamen Zauberschutzes stehen bei anderen den Glauben bekennenden Schriftworten („Ich verfüge über (Zauber)Schutz gegen jeden Unfall“ neben dem Psalmwort:“Der Herr ist mein Hirte – Psalm 23).

In den Lagern der Wanderarbeiter in den Bergwerken Südafrikas bedeutet die Gruppe der heimatlichen ‚Religionsgemeinschaft, ein Stück ‚Zuhause in der Fremde‘. Sie ist wirksamstes Ferment für die schützende Zusammengehörigkeit. Das gilt insbesondere für die christlichen Gruppen, die die heimatliche Glaubensgemeinschaft in loco repräsentieren.

In einer Entwicklung, die in die säkularisierte Fremde der neuen Großstädte und Industriezentren führt, wird die Kirche zum Ort der Bewahrung vor dem eigentlichen Heimatverlust des afrikanische Menschen. In den nach Stammeszugehörigkeiten dort sich bildenden Neusiedlungen verliert sich die Ferne zu den Ahnengräbern und Geburtsstätten in ihren alten religiösen Bindungen. Die Kirche und ihre Mission werden zu einer Art „Arche Noah“ in der die kreatürlichen Grenzerfahrungen der Menschen in Afrika und deren „Suche nach Sicherheit“ überführt werden in die Geborgenheit der Gegenwart Christi: „Fürchte dich nicht – Du bist mein“.

Nicht die im Gange befindliche Verflachung und der Verfall – schon gar nicht die Verachtung der alten Bindungen an den kleinen Kosmos der göttlich begegnenden Natur und ihrer Kräfte – bereitet den Boden für die missionarische Begegnung. Wenn diese natürliche Vorgabe des afrikanischen „Himmels“ der platten Diesseitigkeit zum Opfer fällt, dann büßt auch das solche platte Existenz einholende Christuszeugnis seine Proto- und mit seine Eschatologie. Die Ekklesiologie verliert ihre Mehrdimensionalität. Sie vermag den die Zeiten und Weltenräume umgreifenden „höheren Chor“ der vollendeten Gemeinschaft, die kosmischen Dimensionen der Christuswirklichkeit und die zukünftige Herrlichkeit der Kinder Gottes den nachreligiösen Menschen Afrikas nur noch schwer zu eröffnen.

Dann verliert sich ihr natürliches religiöses Erbe in neuen aufgesplitterten Weltanschauungsbewegungen mit ihren pseudo-afrikanischen Restelementen. (Das ist ein weites Thema für sich!). Neue Kultbewegungen, quasi-religiöse Heiler-Bewegungen, Schamanismus für den unbehausten „Menschen von heute“ melden sich als religiöse Restbestände in der Säkularisation zurück (ein eigenes Thema – nicht nur für das Afrika von morgen!).

In dieser eindimensional gewordenen Geisteslage wird sich die Mission der Kirche des positiven Erbes aus diesen Natureligionen annehmen. Damit hilft sie das Geheimnis der Kirche zu bewahren vor ihrer Reduktion auf seine soziologisch wahrnehmbaren, gesellschaftlich aufweisbaren, organisatorischen Erscheinungsformen.
Gerade in dieser Hinsicht fließt dann auch „frisches Blut“ aus der ‚Jungen Kirche‘ mit ihrer missionarischen Frische in die ihre ekklesiologischen Einbußen und Verkürzungen – nicht nur in der Theologie – erleidende Kirche in der Alten Welt. Gemeindewachstum und geistliche Berufungen unter den Völkern Afrikas können als Zeichen auf diesem Wege ausgemacht werden.

2.4 Eine hermeneutische Studie am Beispiel afrikanischer Predigten.
Einen Einblick in die eigenständige Denkweise vermitteln Predigten einheimischer Pfarrer. Neben den künstlerischen Ausdrucksformen in Skulpturen und Bildern und den Elementen eigenständiger liturgischer Anreicherungen stoßen wir hier auf die Grundstrukturen einer inkulturativen Hermeneutik. Die Beobachtungen stützen sich auf eine Studie, die ich ab 1966 an Hand von Predigten aus verschiedenen Teilen des Kontinents durchführen konnte. Ursprünglich in den Lokalsprachen gehalten, wurden sie mir als Tonaufnahmen oder in schriftlicher Form zugänglich gemacht. Studenten, die dieser Sprachen kundig waren, übersetzten sie und hielten sie in schriftlicher Form fest.

2.4.1 Die Vergegenwärtigung der biblischen Berichte und ihre ‚Ent-historisierung‘.
Die zeitliche Distanz zwischen Heute und Damals erscheint aufgehoben. Die hörende Gemeinde findet sich „zeitgenössisch“ zur neutestamentlichen Offenbarungsgeschichte wieder. Biblische Personen werden zunächst als Beispiele vorgestellt. Dann aber wird der Hörer selber zu dieser Person. Die biblische Situation wird zu einer gegenwärtig nacherlebbaren und mit zu vollziehenden und führt zur eigenen Entscheidung. So am Beispiel des Simon von Cyrene (Mt. 27, 32): „Der Zeitpunkt kommt, wenn wir nicht mehr bloß Zuschauer sind, sondern Betroffene….. Welche Rolle willst du spielen in diesem Welttheater? Passant, Zuschauer oder Akteur?“ Der Simeon von damals wird im Hörer jetzt zum entscheidungsbereiten Handelnden: Sei selber dieser Simeon in der Gegenwart Jesu Christi!

Auch die örtliche Distanz erscheint zur biblischen aufgehoben. Bethlehem, Jerusalem, Golgatha – diese und andere Orte werden bis in die Namensgebung hinein zu einheimischen, vertrauten Gegenden. Umgekehrt begegnet die eigene Umwelt in der Auslegung biblischer Texte wieder. Das alltägliche Leben im Dorf dient zur Aktualisierung alt- und neutestamentlicher Zeitumstände. Das eigene Feld (shamba), die Tierwelt Afrikas und die von Geistern durchwirkte Natur beheimaten die Länder der Bibel im eigenen Zuhause. Aus dem fernen ‚Dort‘ wird nahes ‚Hier‘. Das Damals vollzieht sich noch einmal im Jetzt und Heute. Die für protestantische Gottesdienste zentrale und dominante Predigt übernimmt damit so etwas wie die Funktion der sakramentalen Partizipation an der eucharistischen Opfergabe.

2.4.2 Die typologische Auslegung.
Der traditionelle Zugang zu Ereignissen in der Vergangenheit wird in den Predigten nicht chronologisch-historisch gesucht. Diese leben in dem dem Hörer bekannten, mündlichen Erzählgut weiter. Zu den Lehr- und Lernstoffen in den Lagern, in denen die Jugend auf die Initiationen vorbereitet wird, gehörten die Wissensvermittlung von Erzählgut über die Vorfahren. Entsprechend wird Johannes der Täufer zum Typus eines „Prediger(s) (noch) ohne Kirche“. „Seine Kirche war die Wüste von Judäa“. „Die Menschen mußten sich (noch) langen Reisen unterziehen, um das Wort Gottes zu hören“. Jetzt braucht keiner mehr durch die Wüste zu reisen. Gott ist gegenwärtig in seinem Wort. „Wie haben (es) immer bei uns in seiner heiligen Bibel – zu Hause und in der Kirche“.

2.4.3 Der Sieg des Kreuzes über Zauber und Magie.
Die Botschaft des Ostermorgens wird zur Proklamation der neuen Macht über die alten Mächte, die das Leben bedrohen. „Das Grab ist offen. Christus ist auferstanden. Alle Todesmächte sind besiegt: Zaubenkräfte, Schutzmittel, Angstbeschwörungen und Besessenheiten – sie alle sind durch den Sieger über den Tod erledigt“. Inkulturative Predigt bedeutet hier: Die ontologischen, alles Sein bestimmenden Machtverhältnisse werden neu besetzt. „Wunderkraft“ ist jetzt Christus. „Christi Kreuz ist die neue, Wunder wirkende Kraftquelle (Zauber – charm). Unser Glaube ist der kleine ‚Behälter‘ dafür.“

2.4.4 Anschaulichkeit durch Vergleiche mit der neuen technischen Welterfahrung
Kohle als neue Energiequelle für verkehrstechnische Abläufe wird zum Symbol für die ungeahnten Wirkungen des Heiligen Geistes. „Die kleine Feuerstelle in der Lokomotive bewegt riesige Ladungen von Gütern, Vieh und Menschen bergauf…. Wir alle sind beladen mit Sünden… wie schaffen wir es hinauf in den Himmel zu kommen?… Gott sei Dank für sein Feuer – den Heiligen Geist!“ Elektrizität als neue Lichtquelle wird zur Metapher für die Macht der Liebe. Verrußte oder gereinigte Lampengläser stehen für die Existenz außer oder in Christus.

2.4.5 Afrika hat einen Auftrag an die übrige Welt
Die Begründung des Predigers dafür lautet:

Afrika wurde zum Zufluchtsort für die heilige Familie am Beginn des Lebens Jesu.
Am Schluß seines Lebens wurde ein Afrikaner – Simon von Cyrene – zu seinem Helfer.
Die Auslegung – in diesem Falle eines in Europa zusätzlich ausgebildeten Predigers vor College-Studenten – lautet: „Es erfüllt mich mit Furcht und Zittern und mit Danksagung an Gott, daß ich weiß, daß mein Afrika beteiligt ist an der Heilsgeschichte der Menschheit. Es mag wohl sein, daß Afrika eine besondere Botschaft für die übrige Welt hat.“

2.4.6 Traditionelle Spruchweisheit im Dienste missionarischer Predigt.
Gesättigt mit dem Erfahrungsgut der Ahnen bietet sich die Fülle lokalen Spruchgutes als eigener hermeneutischer Schlüssel an. Darin findet sich ein ganzer Hort an Weisheiten und Weisungen für die jetzt Lebenden. Die Prediger nutzen sie und bieten damit die unmittelbarsten Beispiele für eine Beheimatung der biblischen Botschaft:
„Mit der Backe eines Geistes kriegt man eine Menge runter“. Dieses vermutlich aus dem traditionellen Umfeld des Geisterglaubens stammende – oder wie immer zu deutende -Sprichwort will den Text Mt. 6, 25 ff. verständlich machen: „Die Sorge um das Heil der Seele ist wichtiger als die um den Leib“.

„Was weg ist, ist weg“ oder „Was draußen liegt, geht dich nichts an“. Diese Sprüche wollen das Endgültige der Osterbotschaft mit Hilfe des eigenen Erfahrungsgutes unterstreichen. Auslegungshorizont ist und bleibt die lebensweltliche Einbettung. Wie könnte es auch anders sein. Die Missionare der kirchlichen Anfänge haben hier durch ihre Sprachstudien und ihre schriftlich festgehaltenen Spruchsammlungen wertvolle Vorarbeiten für die Predigt in Afrika geleistet.

2.4.7 Zusammenfassung
Überlegungen zu inkulturativen theologischen Entwürfen beginnen mit Studien der Predigten ‚vor Ort‘. Sie erhellen mehr über die ‚conditio humana Africana‘ als übernommene systematisierende Kategorien und Strukturen.
Entsprechendes gilt für die theologische Ausbildung: Die Kandidaten sollten dazu angeregt werden, den Reichtum an traditionellen Vorgaben und an Material zu durchforschen, der in der Geschichte und aus dem realen Leben ihrer Gemeinschaften zu erheben ist. Missionarische Verkündigung bleibt der mühsame Weg, die Brücke von der eigenen Tradition zur griechisch-römischen und damit zur kanonischen Tradition zu bauen. Die Bibel selbst gibt diesen interkulturellen Zusammenhang vor. Für den Prediger und Seelsorger in afrikanischen Gemeinschaften heißt das: Er muß noch einmal missionarisch die Grenze zurück überschreiten, die einmal zwischen biblischer Kanonkenntnis und der ihr vorausliegenden Welt- und Lebensdeutung lag. Nur dann kann der letzte Boden für neue separatistische Verselbständigungen entzogen werden. Das aber ist wiederum nur in einer ekklesialen Katholizität möglich. In ihr liegen die Fundamente für diese lokalen Brückenschläge. Sie gründet in sakramentalen Gestalt ihrer Einheit, die das jeweils Besondere, Eigenständige in sich aufgehoben und berücksichtigt hat.
2.5 Mission als Orientierung in der neuen ‚technischen‘ Welt.

Als Beispiel verweise ich auf eine Begegnung in Papua Neuguinea vor etwa 30 Jahren. Vorangegangen waren Stationsbesuche und ein Fortbildungskurs für Missionare der Lutherischen Mission in Bayern und Kontakte mit der dortigen Mission der Steyler Missionare. In einzelnen Missionsgemeinden zeigten sich Einflüsse und Einbrüche verschiedener separatistischer Richtungen, die unter dem Sammelbegriff „Gütergeheimnisbewegungen“ bekannt sind.
Im Zusammenhang der amerikanischen und der japanischen Feldzüge, die das Inselreich überzogen, war das 20. Jahrhundert mit seiner Technik soz. „über Nacht“ in die noch archaische Welt dieser Stämme eingebrochen. Einzelne charismatische Gestalten sog. „Propheten“ beanspruchten Antworten zu geben auf die Frage: „Woher kommt solcher Gütersegen?“ Die Antworten wiesen zurück in die Welt der eigenen Ahnen. Sie seien vernachlässigt worden. Darum haben sie die Kraft und das Geheimnis, das zu solchen Gütern verhalf, den Fremden zukommen lassen. Durch unterschiedlichste traditionelle Kulthandlungen müssten sie darum wieder zur Rückkehr in ihre eigene Gemeinschaft bewogen werden. Die dazu notwendigen Anweisungen gab der jeweilige „Prophet“.

Wo solche Einbrüche in die junge Kirche erfolgten, zeichnete sich folgender Zusammenhang ab: Die Faszination durch das Erlebnis der modernen technischen Welt war stärker als die Gewißheit im noch jungen christlichen Glauben der Kirche. Es gab keinen Zusammenhang zwischen der im Glauben bekannten Wahrheit des dreieinigen Gottes und der von ihm erschaffenen und erlösten Welt.

Darin meldet sich eine für die Mission der Kirche und ihre Verkündigung heute stellende Aufgabe. Sie betrifft ebenso die Neuevangelisierung (Kardinal Scheffszyk sprach von ‚Re-evangelisierung‘) in der säkularen abendländischen Christenheit: Der Begründungszusammenhang von Welterschließung und christlicher Freiheit bedarf einer Aktualisierung in Bezug auf die gegenwärtige sich verselbständigende Welterfahrung durch Technik und Entwicklung. Missionarisch bleibt die Verkündigung, wenn sie die Horizonte sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse im Lichte Jesu Christi und damit in ihrer Ermöglichung und Bewahrung ausleuchtet. Das betrifft auch die richtigen Stellenwerte neuer nationaler Orientierungen.
2.6 Das missionarische Zeugnis – Einladung zu einem neuen Menschsein in Christus.

Die Gefährdung der staatlichen Einheit liegt in sich verweigernden Abstammungsidentitäten. Dem Staat zu geben, was dem Staate zukommt, und Gott zu geben, was ihm zukommt. Diese jesuanische Weisung gewinnt für Afrika erneute Relevanz. Die Kirche und ihre Sendung steht für beides: für die Bewahrung der traditionellen Identitäten und für ihre Integration in das umfassendere neue staatsbürgerliche Bewusstsein. Das Evangelium nimmt aber auch beiden ihre absoluten Geltungsansprüche und macht sie so koexistenzfähig. Es befreit die Blut- und Bodenhaftung von ihrer ursprünglichen, die Gesellschaft prägenden (’soteriologischen‘) Funktion. Es ermöglicht zugleich eine realistische staatsbürgerliche Orientierung. Realistisch bleibt diese neue Orientierung insofern, als sie ihre Vorläufigkeit erfährt im Blick auf das regnum Christi. Auf seine Herrschaft bleiben die Pflichten und die Erwartungen der Gläubigen ausgerichtet. Das hier gültige Bild des Neuen Menschen vermag sich auch das neue staatliche Miteinander aus ursprünglich unterschiedlichen, ja – gegensätzlich sich verhaltender Abstammungsgemeinschaften zu ermöglichen. Die reale Wahrheit des Glaubens erschließt dem jungen Staat die Voraussetzungen, die dieser sich selbst nicht zu geben vermag (// Böckenförde). Um welche Voraussetzungen für den neuen Staat geht es? Ich möchte einzelne als ‚missionsrelevant‘ hier ansprechen.

2.6.1 Die integrative Fähigkeit des ’neuen Menschen‘ in Christus.
Auf die Frage „Wer bist du?“ antwortet afrikanisches Identitätsbewusstsein mit der Angabe seines nasci – seiner geburtlich-nationalen Herkunft. Er ist Luo oder Tutsi oder wo immer Nation für ihn ein Hineingeborensein bedeutet. Im Unterbewußten des Migranten, des industrie-orientierten Wanderarbeiters, des Parteiführers – ja, des neuen Staatsmannes bleibt dieser unbesetzte Rest letztgültigen Zugehörigkeitsgefühls. In ihm liegt das Gefährdungspotential für den neuen Staat.

Seine Anfänge waren noch begleitet vom Aufschrei der afrikanischen Seele. Neue afrikanische Dichtung gab dem vielfältig und bewegend Ausdruck. So der bezeichnende Buchtitel von Chinna Achebe „Things fall apart“. Mabel Jolaoso aus Nigeria dichtet:“Hier stehen wir – niedergeschlagen – schweben zwischen Zivilisationen, finden das Gleichgewicht lästig, wünschen, daß etwas geschieht, und auf den einen Weg stößt oder den anderen, tasten ins Dunkel nach hilfreicher Hand und finden keine. – Ich bin’s müde, o Gott‘ ich bin’s müde, bin es müde in der Mitte zu hängen. Wohin aber kann ich gehen?“

„Die eine Welt“ – das ist die ferne gerückte eigene. „Die andere Welt“ das ist die neue Zugehörigkeit zu Staat, Partei‘ Arbeitsklasse. Der Ruf „Wohin kann ich gehen?“ weist der missionarischen Verkündigung ihre Richtung.

Das sich isolierende ‚Ich‘ des heimatlos Gewordenen wird durch die in Jesus Christus gestiftete und in ihm gelebte Geschwisterlichkeit in neuer Weise gemeinschaftsfähig. Die sakramentale Leibeinheit im Christusverbund befähigt zu erweiterter Zugehörigkeit und Solidarität, wie sie staatliche Einheit braucht aber nicht gewährleisten kann. Die ideologischen und ethischen Begründungen reichen dafür nicht aus.

Mahatma Gandhis Botschaft in seiner südafrikanischen Zeit wies in diese Richtung. An der christlichen Bergpredigt orientiert, blieb sie dennoch seinem Hinduglauben zugeordnet. Er suchte den Weg, der frei machte von den alten und neuen Abhängigkeiten in Stamm, Staat, Kaste und Klasse. Den neuen, freien Bundesstaat Indien wollte er an einem Menschenbild ausrichten, das dem neuen Staatsbewusstsein allein nicht entspringen konnte. Gotteskindschaft aller Menschen wurde die religiöse Vorgabe für die politische Zielsetzung. Dazu musste er – wie andere vor ihm – hinduistische Perspektiven erweitern und verallgemeinern. Das göttliche Prinzip des hinduistisch verstandenen brahman sollte Indien auch als Volksgemeinschaft zusammenführen,‘ ohne darin aufzugehen. Die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht erreichte er, die Einheit der Nation nicht. Das islamisch geprägte Ost- und Westpakistan und die indischen Ausgrenzungen hinduistischer Geburtseinheiten standen dagegen. Die Kirche als Sakrament der Einheit im Dreieinigen Gott blieb für ihn eingegrenzt in die Ghettos indischer und europäischer Gesellschaften. Das Geheimnis dieser Neustiftung, verborgen unter den Bedingungen des Christentumsgeschichte und in seiner Zeit, vermochte er nicht zu entdecken.

Als Orientierung für die Maßstäbe eines neuen indischen und menschheitlichen Gemeinschaftsideals war die Botschaft des Neuen Testamentes Gandhi wichtig. Zu ihrer Mitte- dem Geheimnis der Inkarnation des Gottes in Christus – vermochte er nicht durchzudringen. Mit dem Fehlen dieser Mitte blieb auch seine hinduistische Botschaft idealistisch, der realen Geschichte fremd – ein hohes Ideal. So jedenfalls lautete das Urteil derjenigen,‘ die nach ihm den Weg des unabhängigen Indiens bestimmten – insbesondere von Jawaharlal Nehru. Er verkürzte den weiten Horizont Gandhis wieder auf einen pragmatischen Staatssozialismus.

Was bedeutet das indische Beispiel für die missionarische Verkündigung in den heutigen Staaten der sog. „Dritten Welt“? Welche Orientierung muß von ihr ausgehen in den widerstreitenden Spannungsfeldern dieser Staaten? Gesucht ist der Bürger‘ der sich nicht vereinnahmen lässt und dem man seine wahre, innere Freiheit nicht mehr nehmen kann: „Wen der Sohn befreit, d e r ist in Wahrheit frei“ (Joh 8 V.36).

Wie kann missionarisches Zeugnis dieses wundersame Geheimnis übersetzen für die Menschen in den neuen politischen Abhängigkeiten und Konfliktfeldern? Ich stelle dazu wenige Fragen:

– Was bedeutet ein vom „Mammon“ freies Herz in einem Netz von Zwängen der Verwandtschaftssysteme, der politischen Parteien, der neuen Klassenprivilegien und der verfestigten Rollen von Männern und Frauen?

– Das „Reich, das nicht von dieser Welt“ ist, rückt politische Zukunftsvisionen und programmatische Verheißungen in die ernüchternde Dimension alles Vorläufigen. Mission gewährt die Gabe der Nüchternheit und des rechten Maßstabes am Maßstab Jesu Christi.

– Der Glaube an den ins Fleisch gekommenen Sohn schenkt die wahre Menschenkenntnis: Er vermag in den Menschen und in ihrer Sprache das Gültige, Echte und Wahre auszumachen. Unsere mediengelenkten Augen bewahren sich den freien Blick. Die Kraft zu unterscheiden und richtig zu urteilen bleibt ungeschmälert.

– „Meine Zeit steht in Deinen Händen“. Missionarische Verkündigung schenkt Geduld und Ausdauer für das Angestrebte, Erwünschte, für das versprochene Unerreichte. Die harrende Ausschau des Gläubigen an die immer noch ausstehende Vollendung prägt auch den neuen Bürgersinn: Er kann ‚Realist‘ im stets ‚Unerreichten‘ bleiben.

– Missionarische Verkündigung hilft die Frage nach dem’wahren Nächsten‘ zu beantworten. „Wer ist mein Nächster?“ Im Hintergrund des Samaritergleichnisses steht die Christuswahrheit. Er ist derjenige, der Nächster, Helfer, Selbstloser zu sein vermag. Verwiesen wird auf den neuen Menschen, dessen Ich seine Erfüllung im Du findet. Eben dieses ereignet sich im Kraftfeld Jesu Christi. Missionarische Verkündigung weist zu dieser Quelle. Alles nächstenschaftliche Verhalten lebt aus ihr – unbewusst oder gläubig bewußt.

Über alle Handlungsanweisungen für den neuen Staatsbürger hinaus bleibt der missionarischen Verkündigung diese Rolle: Zugänge zu dieser Quelle zu eröffnen, aus der Menschen die Kräfte schöpfen für die ganze unbedingte Nächstenschaft.

Die Botschaft des Missionars findet im Martyrium ihren stärksten Ausdruck. Leiden und Sterben werden zum Zeugnis für das in Tod und Auferstehung vollzogene Erlösungswerk seines Herrn. Als sichtbare Weise der Vereinigung mit ihm ist sie deren überzeugendster Ausdruck. In der participatio an der passio Jesu Christi offenbart sich das Geheimnis von Golgatha. Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Veritatis Splendor (1993) auf den Zusammenhang von Martyrium und Mission hingewiesen. Die ausführlichen Martyrologien hrsg. von Helmut Moll (Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Paderborn 2001 (3)) belegen diesen Zusammenhang auf das Deutlichste.
3. Was sagt die jüngste große Enzyklika „Caritas in Veritate“ zu unserem Thema?

In gewisser Hinsicht kann man sagen: Die ganze Enzyklika setzt die Mission der Kirche voraus. Sie stellt eine einzige große Grenzüberschreitung dar aus einer kirchlichen Binnenperspektive in Richtung auf die größere „Menschheitsfamilie“. Die Zusage des Herrn „Ihr seid das Salz der Erde“ (Mt. 5,‘ 13) wird hier im Sinne von „Sendung“ in Geltung gesetzt. Dabei wird Beides in Blick genommen, was den großen Rahmen für die Mission bestimmt: Der protologische Blick auf das alle schon verbindende „Woher“ unserer schöpfungsbezogenen Verbundenheit. Sodann der eschatologische Blick auf die Vollendung dessen,‘ was die Gnade in Bezug auf diese natürlichen Voraussetzungen durch das neue Sein in Christus zu bewirken vermag. Mission also als der Vorgang,‘ in dem beides heute seine Mitte hat: die Erneuerung des Ursprungs und die Vorwegnahme alles Zukünftigen. In diesem universalen Zusammenhang lese ich „Caritas in Veritate“ als eine Hinführung zu den erweiterten Aufgaben der Mission. Im Einzelnen nehme ich unter Bezug auf unser Thema die folgenden Gedanken auf:

3.1 In Kap. 4 heißt es: „….die Wahrheit des „logos“‚ der „dia-logos“ schafft und damit Austausch und Gemeinschaft bewirkt.“ Das Wort, das missionarisch vermittelt wird‘ „holt Menschen heraus ….gibt ihnen die Möglichkeit, kulturelle und geschichtliche Festlegungen zu überwinden“ (S. 6 – Libreria Editrice Vaticana 2009).
Mission als befreiende, aus den ’natürlichen‘ Einbindungen entgrenzende Zuwendung! Gnadenzuwendung der weiten Horizonte! (Ach – daß doch unsere Studenten wieder etwas davon zu spüren bekommen: Missionswissenschaft kann aufregend, interessant und faszinierend sein.)

3.2 Damit ist der Abschied eingeleitet vom eigenen „augenblicklichen sozialen und kulturellen Umfeld‘ in dem die Tendenz zur Relativierung der Wahrheit verbreitet ist“ (S.7). Wir halten fest: In der zeitgeistlichen Neigung, alles gleich gültig sein zu lassen, zeigt sich der Verzicht auf Wahrheit. Mission und Neuevangelisierung sind Aufklärungshilfen gegenüber den beliebter werdenden Mißverständnissen fremder Religionen. Entgegen deren new-age-lerischen Ausdeutungen in falschen Universalisierungen werden im Lichte der Wahrheit deren eigene, genuine „Teilwahrheiten“ wieder freigelegt. Im missionarischen Dialog erfährt deren eigene Logik wieder ihren Eigenwert. (In diesem Sinne wird die Missionswissenschaft produktiv für die Religionswissenschaft. Beide Wissensgebiete sind und bleiben aufeinander angewiesen.)

Mission im Dialog mit Menschen in anderen Religionen wird zum notwendigen Zugang zu deren eigenem Wahrheitsverständnis. Dieser Dialog schützt sie davor, unwahrhaftiger Vorspann zu werden für nach- und pseudo-religiöse modernistische Inanspruchnahmen.“Ein möglicher negativer Effekt des Globalisierungsprozesses ist die Tendenz,‘ solchen Synkretismus zu begünstigen und dabei Formen von „Religionen“ zu nähren‘ die die Menschen einander entfremden‘ anstatt sie einander begegnen zu lassen,‘ und sie von der Wirklichkeit entfernen“ (S.10/5).

3.3 Zur „Bewertung des Entkolonisierungsprozesses“ (S. 57).
Die Enzyklika spricht von „über vierzig Jahren“‚ in denen es, „sei es aufgrund neuer Formen von Kolonialismus und Abhängigkeit von alten und neuen Hegemonialländern, sei es durch schwerwiegende Verantwortungslosigkeit innerhalb der Länder selbst, die sich unabhängig gemacht haben“,‘ zu enttäuschten Hoffnungen kam.
Missionare waren im Regelfall nicht in der Lage,‘ Einfluß auf die Regierungsbildungen der jungen, selbständig gewordenen Staaten zu nehmen. Einzelne der neuen Staatschefs waren aus ihren Schülern hervorgegangen.
In einzelnen Fällen jedoch vermochte die Botschaft vom „Reiche Gottes“ blühende utopische Erwartungen des neuen ‚unabhängigen, „Himmels auf Erden“ zu ernüchtern. (so bei Julius Nyerere und seinem „African socialism“).

Das christlich verstandene politische Mandat konnte – oft genug jedoch erfolglos – Blut- und Bodenloyalitäten und die darin wurzelnden Rivalitäten in ihre Schranken verweisen. Demokratische Idealvorstellungen westlicher Länder unterstützten diese Orientierung. Die Brüderlichkeit im neuen Verbund mit Jesus Christus half die neuen „Lokalgötter“ zu entgöttern. Unsere Enzyklika nennt dies die „Möglichkeit eines fruchtbaren Dialogs und einer gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen Vernunft und religiösem Glauben“…und fügt hinzu: „…und dies gilt auch für die politische Vernunft, die sich nicht für allmächtig halten darf“ (S. 107).

3.4 „….den fremden kulturellen und menschlichen Werten Rechnung tragen“.
Die Mission muß die Spannung aushalten,‘ die besteht zwischen dem „universalen Sittengesetz“ als „Grundlage eines jeden kulturellen, religiösen und politischen Dialogs“ und der in Wirklichkeit bestehenden örtlichen Unkenntlichkeit desselben. Die Enzyklika spricht von „kulturellen und religiösen Vermächtnissen“‚ die diesem „universalen Sittengesetz im Wege stehen“ (S. 105). Sie nennt diese beim Namen und zeigt damit die Grenzen auf, die die Mission in solchen Lagen zu überschreiten hat. Es sind diejenigen religiösen Bindungen und Kultformen, die den Zugang zum universalen Sittengesetz versperren.

Dazu gehören die metaphysische Heiligsprechung der geburtsreligiösen Vergliederung in Kasten, Subkasten und Stämmen und Klans. Das Personsein vor Gott und sein neuer Verwandtschaftsstatus in Christus erhebt die Physis des Blutes zum Adel ihrer wahren Bestimmung. Die Enzyklika nennt als Beispiele für solche dem religiösen Mutterboden entspringenden religiösen Praktiken die magischen Zauberkräfte. Der Mensch bleibt Sklave im Kraftfeld okkulter Mächte. Die Mission hat es um des gemeinsamen Sittengesetzes willen mit solchen dieses in Frage stellenden und verneinenden Phänomenen zu tun.

3.4 „Der Begriff „Bildung“ bezieht sich nicht allein auf Unterricht und Ausbildung zum Beruf…, sondern auf die umfassende Formung der Person“ (S.114). Der Mensch als „Person“ vor Gott‘ seine Einzigartigkeit in Schöpfung und Erlösung, zeichnet das Wesen missionarischer Schularbeit aus. Darin unterscheidet sie sich von den vorchristlichen, traditionell-ethnischen Erziehungszielen und -inhalten.

Die oft mehrjährige Initiansschulung vollzog sich in Absonderungslagern. Sie war eine geschlechtsspezifische Exklusion vom Leben der Dorfgemeinschaft. In ihr vollzog sich die Einübung in den Pflichtenkreis des Klans und des Stammes. Sie galt als Kultpraxis und Härtetest. Die sakrale Beschneidung qualifiziert zur sozialen Rolle als Mann und als Frau. Vergleichbares läßt sich sagen in Bezug auf die unterschiedlichsten traditionellen Schulungen in den Tempeln und im Kult- und Kastenwesen östlicher Religionsgruppen.

Missionarische Schularbeit besteht in der Grundlagenerziehung zu einer christlichen Persönlichkeit. Solche ‚Glaubenserweckung‘ kommt der jungen Generation in ihrem Streben nach Ausbildung und Qualifikation zugute. Die Personwerdung vor Gott macht die jungen Menschen in neuer Weise reif für die Aufgaben von morgen. Die Enzyklika spricht von „pädagogischen Möglichkeiten, die die Personen in ihrer vollen menschlichen Verwirklichung unterstützen“ (S. 114 ff.).

3.5 Missionarischer Dienst bewahrt vor der „Trunkenheit einer totalen Autonomie“ der Menschen“ (S.130).
Eine solche steht nicht nur im Gegensatz zur Existenz des Christenmenschen. Sie ist bereits eine radikale Entwurzelung aus den religiösen Existenzweisen in den vorchristlichen Religionen. Sie ist neuer nachkolonialer Import aus den säkularisierten Gesellschaften des Westens. Naturreligionen Afrikas und Tempeltraditionen östlicher Religionen gewährten dem noch vormodernen Menschen die natürliche Begegnung mit den ‚höheren Mächten“. Aus ihnen bildete sich ihre geschöpfliche Welterfahrung und Weltanschauung. Jetzt aber sind sie schutz- und orientierungslos in einer platten Autonomie sich selbst überlassen. Den Menschen vor dieser nachchristlichen Verarmung zu bewahren, bedeutet darum, ihm seine Menschlichkeit zu erhalten. Mit den Worten von „Caritas in Veritate“: „… den wahren Sinn der Freiheit wiederzugewinnen“ und „ihn in der Trunkenheit seines totalen autonomen Seins zu bewahren“.

3.6 Missionarischer Dienst als Hilfe zu neuer notwendiger „Unterscheidung der Geister“.
Menschen in den Entwicklungsländern sind der „Macht der Medien“ oft schutzlos preisgegeben. „Wahrheit“ ist für viele identisch mit Gedrucktem, Gesehenem, Veröffentlichtem. Propaganda, Reklame, die Flut von Angebot und Werbung erfordern in ungewohnter Weise,‘ die „Unterscheidung der Geister“.

Wer zum Glauben kommt, gewinnt die erforderliche Distance für den unterscheidenden Blick in den Grauzonen zwischen wahr und falsch. Verkündigung und Erziehung zum Glauben der Kirche werden zur Einladung in die wahre ‚Unabhängigkeit. Die Freiheit der Gotteskindschaft gewährt die neue Würde des Selbst inmitten des Sogs vereinnahmender Verführungsstrategien. (Sie reichen von den Kaufzwängen auf dem Angebotsmarkt bis zu sexuellem Libertinismus.)

3.7 „Unterscheidung der Geister“ in Bezug auf die religiösen Wurzeln des Terrorismus.
Mission in islamischen Ländern ist schon länger kein aktuelles Thema mehr. Sie vollzieht sich unprogrammatisch im schulischen Bereich, in persönlichen Kontakten einzelner und in den karitativen Diensten.

Im Blick auf den islamistischen Terrorismus und die widersprüchlichen Haltungen innerhalb der islamischen Welt dazu, geht es um eine besondere Weise der christlich-islamischen Begegnung. Die Enzyklika fordert dazu auf, „die terroristischen Versuchungen an der Wurzel freizulegen“ (S.131).
Also gilt es zu unterscheiden zwischen den islamischen Praktiken, die sich unterschiedlich auf die koranische Wurzel des gebotenen Kampfes im Namen Allahs verhalten. Sie bewegen sich in den Spannungsfeldern von den sog. vorislamischen und den im vollen Sinne islamischen Situationen: Auf der einen Seite die in islamischen Minderheitssituationen in Kauf zu nehmenden Einschränkungen der sharia-Gebote – auf der anderen Seite die bis zur Selbstaufopferung reichende Attentatshandlung eines shahid.

Mission als Wegweisung zu Christus wird darum schon im Vorfeld als Unterscheidung dieser innerislamischen Gegensätze beginnen. Sie wird mit dem paulinischen Verständnis des geistlichen Kampfes im Glauben denjenigen Moslems zur Seite stehen, die sich in der innerislamischen Auseinandersetzung immer schon um eine Verinnerlichung des shahid-Gebotes bemüht haben.

© Horst Bürkle