1. Lichtmeßpredigten von Papst Benedikt XVI.

Der Hl. Papst Johannes Paul II. verband 1997 das Fest „Mariä Lichtmeß“ oder „Darstellung des Herrn“ mit dem Gedanken des geweihten Lebens. Das Fest selber hat noch einen weihnachtlichen Charakter, und während im säkularen Kalender die weihnachtlichen Utensilien schon lange eingepackt sind und der Fasching zu regieren beginnt, zeigt Lichtmeß, daß die Christen einer anderen „Zeitrechnung“ folgen. Deswegen paßt der Tag des geweihten Lebens zu diesem Fest, das ein Fest jener Personen Israels ist, die auf den Messias warteten, ihn herbeisehnten und entsprechend ihr Leben lebten. In den Homilien Papst Benedikt XVI. zu diesem Fest kommt immer wieder der Signalcharakter, den die Männer und Frauen des „geweihten Lebens“ in der Kirche haben, zum Ausdruck.

2006 sagte Papst Benedikt XVI. in der Vatikanischen Basilika St. Peter, zu den Ordensleuten gewandt, die er als „Wächter des neuen Lebens“ bezeichnet:

Am heutigen Fest der Darstellung des Herrn feiert die Kirche den Tag des geweihten Lebens. Es handelt sich um eine willkommene Gelegenheit, um den Herrn zu preisen und ihm für das unschätzbare Geschenk zu danken, das das gottgeweihte Leben in seinen verschiedenen Formen darstellt; es ist zugleich auch ein Anreiz, im ganzen Volk Gottes die Kenntnis und Wertschätzung für diejenigen zu fördern, die sich Gott vollkommen geweiht haben. Wie nämlich das Leben Jesu in seinem Gehorsam und seiner Hingabe an den Vater ein lebendiges Gleichnis für den „Gott-mit-uns“ ist, so wird die konkrete Hingabe der geweihten Personen an Gott und an die Brüder zum beredten Zeichen der Gegenwart des Reiches Gottes für die Welt von heute. Die Art und Weise eures Lebens und Handelns vermag es, die volle Zugehörigkeit zu dem einen Herrn unvermindert zu bekunden; eure vollständige Hingabe in die Hände Christi und der Kirche ist eine starke und klare Verkündigung der Gegenwart Gottes in einer Sprache, die für unsere Zeitgenossen verständlich ist. Das ist der erste Dienst, den das gottgeweihte Leben für die Kirche und die Welt leistet. Innerhalb des Volkes Gottes sind die Gottgeweihten gleichsam Wächter, die das neue Leben, das in unserer Geschichte schon vorhanden ist, erblicken und verkünden.

Im Jahr 2009, dem „Paulusjahr“, nennt Benedikt XVI. in seiner Predigt zu Lichtmeß die verschiedenen Formen des Ordenslebens einen „Kosmos des geweihten Lebens“. Von der Gestalt und Botschaft des Paulus her entfaltet er seine Sicht der vita consacrata und erinnert an die oft vergessene Tatsache, daß der größte Vermittler der Jesusbotschaft ein Handwerk ausübte und davon lebte.

In der Überlieferung der Kirche wird der hl. Paulus von jeher als Vater und Lehrer jener anerkannt, die, vom Herrn berufen, den Entschluß gefaßt haben, sich ihm und seinem Evangelium bedingungslos hinzugeben. Verschiedene Ordensinstitute sind nach dem hl. Paulus benannt und schöpfen aus ihm eine besondere charismatische Inspiration. Man kann sagen, daß er alle geweihten Männer und Frauen immer wieder offen und herzlich einlädt: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1 Kor 11,1). Was ist denn das geweihte Leben, wenn nicht eine radikale Nachahmung, eine vollkommene „Nachfolge“ Jesu (vgl. Mt 19,27–28)? Nun, für all das stellt Paulus eine sichere pädagogische Vermittlung dar: Ihn in der Nachfolge Christi nachzuahmen, meine Lieben, ist der Königsweg, um bis ins letzte eurer Berufung zu einer besonderen Weihe in der Kirche zu entsprechen.

Mehr noch: Durch seine Worte können wir einen Lebensstil kennenlernen, der die Substanz des geweihten Lebens zum Ausdruck bringt, das an den evangelischen Räten der Armut, Keuschheit und des Gehorsams inspiriert ist. Im Leben der Armut sieht er die Gewährleistung einer vollkommen unentgeltlichen Verkündigung des Evangeliums (vgl. 1 Kor 9,1–23). Gleichzeitig ist es Ausdruck konkreter Solidarität mit den notleidenden Brüdern. Wir alle kennen in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Paulus, durch die Arbeit seiner Hände für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, sowie seinen Einsatz für die Sammlung zugunsten der Armen von Jerusalem (vgl. 1 Thess 2,9; 2 Kor 8–9). Paulus ist auch ein Apostel, der den Ruf Gottes zur Keuschheit angenommen und sein Herz ungeteilt dem Herrn geschenkt hat, um seinen Brüdern in noch größerer Freiheit und Hingabe dienen zu können (vgl. 1 Kor 7,7; 2 Kor 11,1–2); außerdem bietet er in einer Welt, in der die Werte der christlichen Keuschheit kaum beheimatet waren (vgl. 1 Kor 6,12–20), einen sicheren Bezugspunkt für den Lebenswandel. Was den Gehorsam betrifft, so genüge es, darauf hinzuweisen, daß die Erfüllung des Willens Gottes und „der tägliche Andrang und die Sorge für alle Gemeinden“ (2 Kor 11,28) sein Leben beseelt, geformt und aufgezehrt, es zum Gott wohlgefälligen Opfer gemacht haben. Daher ist es ihm möglich zu sagen, was er an die Philipper schreibt: „Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn“ (Phil 1,21).

Im Vespergottesdienst am Abend des 2. Februar 2010 weist Benedikt XVI. auf die Dimensionen der Begegnung und den Zeichenwert des geweihten Lebens hin, das in seiner „Großzügigkeit“ und „Unentgeltlichkeit“ in Spannung zu unserem allgemeinen Lebensstil, der sich selbst sucht und sichern will, steht. Gerade in schwierigen Situationen wird diese Dimension aktuell.

Am Fest der Darstellung Jesu im Tempel feiern wir ein Mysterium des Lebens Christi, das mit einer Vorschrift des mosaischen Gesetzes verbunden ist. (…) Im Osten wurde dieses Fest „Hypapante“ genannt, Fest der „Begegnung“: denn Simeon und Hanna, die Jesus im Tempel begegnen und in ihm den sehnsüchtig erwarteten Messias erkennen, stellen die Menschheit dar, die in der Kirche ihrem Herrn begegnet. (…)Schließlich, liebe Freunde, wollen wir dem Herrn Lob und Dank sagen für das geweihte Leben. Um wieviel ärmer wäre die Welt, wenn es das geweihte Leben nicht gäbe! Jenseits von oberflächlichen Nützlichkeitserwägungen ist das geweihte Leben gerade deshalb wichtig, weil es Zeichen der Unentgeltlichkeit und der Liebe ist, und das um so mehr in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, im Strudel des Vergänglichen und des Nützlichen zu ersticken.

Das geweihte Leben dagegen bezeugt die Überfülle der Liebe, die dazu drängt, das eigene Leben zu „verlieren“ als Antwort auf die Überfülle der Liebe des Herrn, der als erster sein Leben für uns „verloren“ hat. In diesem Augenblick denke ich an die geweihten Personen, die die Last des mühevollen und an menschlichen Befriedigungen armen Alltags spüren, ich denke an die betagten und kranken Ordensmänner und Ordensfrauen, an alle, die sich in ihrem Apostolat in Schwierigkeiten befinden… Niemand ist nutzlos, weil der Herr sie teilhaben läßt am „Thron der Gnade“. Vielmehr sind sie ein wertvolles Geschenk für die Kirche und die Welt, die nach Gott und seinem Wort dürstet.

2011 richtet Benedikt XVI. in seiner Homilie zu Lichtmeß und zum Tag des geweihten Lebens den Blick auf das geistige Umfeld, in dem die Kirche heute lebt und ihren Auftrag versucht, zu erfüllen:

Wir erleben heute, vor allem in den stärker entwickelten Gesellschaften, einen Zustand, der häufig durch eine radikale Pluralität, durch eine fortschreitende Verdrängung der Religion aus dem öffentlichen Leben und durch einen Relativismus geprägt ist, der die Grundwerte angreift. Das erfordert, daß unser christliches Zeugnis leuchtend und beständig und daß unser erzieherisches Bemühen aufmerksam und großherzig ist. Besonders euer apostolisches Wirken, liebe Brüder und Schwestern, möge zu einer Lebensaufgabe werden, die mit unablässiger Leidenschaft Zugang zu der Weisheit als Wahrheit und Schönheit, „Glanz der Wahrheit“, gewährt. Trachtet danach, mit der Weisheit eures Lebens und mit dem Vertrauen in die unerschöpflichen Möglichkeiten der wahren Erziehung den Verstand und das Herz der Männer und Frauen unserer Zeit auf das „gute Leben des Evangeliums“ auszurichten.

(…) Das im Evangelium wiedergegebene Bild von der Darstellung Jesu im Tempel enthält das grundlegende Symbol des Lichts; das Licht, das von Christus her auf Maria und Josef, auf Simeon und Hanna und durch sie auf alle ausstrahlt. Die Kirchenväter haben diese Ausstrahlung mit dem spirituellen Weg in Zusammenhang gebracht. Das geweihte Leben ist in besonderer Weise als Philokalia, Liebe zur göttlichen Schönheit, Ausstrahlung der göttlichen Güte, Ausdruck dieses Weges.

Im „Jahr des Glaubens“ hielt Benedikt XVI. an Lichtmeß 2013 seine letzte Ansprache als Papst an die Ordensleute. Er gibt ihnen drei Aufforderungen mit, die seine Sicht des geweihten Lebens zusammenfassen:

Im Geist der Dankbarkeit und der Gemeinschaft möchte ich drei Aufforderungen an euch richten, damit ihr ganz durch jene „Tür des Glaubens“ eintreten könnt, die uns immer offen steht.

Zuerst lade ich euch ein, einen Glauben zu nähren, der in der Lage ist, eure Berufung zu erhellen. Deshalb lade ich euch ein, gleichsam in einer inneren Pilgerschaft der ersten Liebe zu gedenken, mit der der Herr Jesus Christus euer Herz erwärmt hat, nicht aus Nostalgie, sondern um diese Flamme zu nähren. Und dafür ist es notwendig, bei ihm zu sein in der Stille der Anbetung und so den Willen und die Freude wieder zu erwecken, sein Leben zu teilen, seine Entscheidungen, den Glaubensgehorsam, die Seligkeit der Armen, die Radikalität der Liebe. Immer neu von dieser Begegnung der Liebe ausgehend, verlaßt ihr alles, um bei ihm zu sein und euch wie er in den Dienst Gottes und den Dienst der Brüder und Schwestern zu stellen (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata, 1).

Zweitens lade ich euch zu einem Glauben ein, der die Weisheit der Schwäche zu erkennen weiß. Zweifelt in den Freuden und Kümmernissen unserer Zeit, wenn die Härte und das Gewicht des Kreuzes spürbar werden, nicht daran, daß die Kenosis Christi bereits der österliche Sieg ist. Gerade mit den menschlichen Grenzen und Schwächen sind wir gerufen, die Gleichgestaltung mit Christus zu leben, in einer allumfassenden Spannung, die im in der Zeit möglichen Maß die eschatologische Vollkommenheit vorwegnimmt (ebd., 16). In den von Leistung und Erfolg bestimmten Gesellschaften wird euer Leben – gekennzeichnet von der „Unterlegenheit“ und Schwäche der Kleinen und vom Einfühlungsvermögen mit denen, die keine Stimme haben – zu einem evangeliumsgemäßen Zeichen des Widerspruchs.

Schließlich lade ich euch ein, den Glauben zu erneuern, der euch Pilger auf dem Weg in die Zukunft sein läßt. Seinem Wesen nach ist das geweihte Leben eine Pilgerschaft des Geistes auf der Suche nach einem Antlitz, das sich manchmal offenbart und manchmal verhüllt: „Faciem tuam, Domine, requiram“ (Ps 27,8). Dies soll die beständige Sehnsucht eures Herzens sein, das Grundkriterium, das euren Weg leitet, sowohl in den täglichen kleinen Schritten als auch in den wichtigeren Entscheidungen. Schließt euch nicht den Unheilpropheten an, die das Ende oder die Sinnlosigkeit des geweihten Lebens in der Kirche unserer Tage verkünden; bekleidet euch vielmehr mit Jesus Christus und legt die Waffen des Lichts an, wie der hl. Paulus mahnt (vgl. Röm 13,11–14), indem ihr wach bleibt und wachsam seid.