Benedikt XVI. über die Ehe

Die Würde und Schönheit der Ehe herauszustellen und diese Lebensform theologisch wie philosophisch grundlegend zu reflektieren, kann als eines der Grundanliegen des Pontifikats von Benedikt XVI. angesehen werden. Es ist untrennbar mit einem anderen Grundanliegen verbunden, dem vertieften Nachdenken über die Lebensform des Priestertums und des geweihten Lebens:

„Die Entscheidung für die Ehelosigkeit aus Liebe zu Gott und den Brüdern, die für den Priesterberuf und das geweihte Leben gefordert wird, und die Wertschätzung der christlichen Ehe gehören in der Tat zusammen: Beide machen, in zwei unterschiedlichen und sich ergänzenden Lebensformen, das Geheimnis des Bundes zwischen Gott und seinem Volk gewissermaßen sichtbar.“

Schreiben von Benedikt XVI. bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie am 06.06.2005

Benedikt XVI. knüpft, wie im Folgenden an einigen wenigen Punkten deutlich gemacht wird, in einer erneuernden und zugleich die Kontinuität wahrenden Weise an die katholische Lehrtradition zur Ehe an.

1. Die Ehe als Sakrament

Der Ehebund ist zwar eine natürliche Wirklichkeit, wurde jedoch zwischen Getauften von Christus zur Würde eines Sakraments erhoben (CIC Can. 1055 §1). Doch was bedeutet „Sakramentalität“ in Bezug auf die Ehe genauer? Grundlegender Ausgangspunkt ist hier die besondere Einheit zwischen Schöpfung und Bund: Beide stehen nicht als getrennte Wirklichkeiten im Sinne von „natürlich“ und „übernatürlich“ nebeneinander, vielmehr ist die Schöpfung in den Bund aufgenommen und findet im Bund zwischen Christus – dem „zweiten Adam“ und zugleich „ersten Geschöpf“ (Kol 1,15) – und der Kirche ihre Vollendung. Für die Ehe bedeutet das:

„Die Ehe als das Zentrum der Schöpfungsordnung ist zugleich das Zentrum der Konkretwerdung der für das Alte Testament und (gegen Marcion) für das Neue Testament konstitutiven Einheit von Schöpfung und Bund […] Sakramentalität der Ehe besagt, daß die in der Ehe konkretisierte Schöpfungsordnung des Zueinander von Mann und Frau nicht neutral und bloß weltlich neben dem Bundesgeheimnis Jesu Christi steht, sondern selbst aufgenommen ist in die Bundesordnung des Bundesvolkes Gottes, so daß sich in ihr die Einheit von Schöpfung und Bund ratifiziert und die Bundestreue Gottes aus dem Glauben heraus in ihr als Bundestreue der Menschen dargestellt und besiegelt wird.“

Joseph Ratzinger, Zur Theologie der Ehe, in: Theologische Quartalschrift 149 (1969) 56-60.

Vor diesem Hintergrund werden die Wesenseigenschaften der sakramentalen Ehe, ihre Einheit und Unauflöslichkeit, verstehbar: In der Einzigkeit des menschlichen Bundes wird die Einzigkeit des göttlichen Bundes zur Darstellung gebracht und in der unaufhebbaren Bundestreue der Menschen die unaufhebbare Bundestreue Gottes. Die Ehe ist sowohl Abbild (imago) als auch Teilhabe (participatio) am Bund Christi und der Kirche (vgl. Eph 5,32). Aufgrund dieser Aufnahme der ehelichen Liebe in die göttliche Liebe kann das Zweite Vaticanum davon sprechen, dass die „christlichen Eheleute für die Pflichten und die Würde ihres Standes durch ein besonderes Sakrament gestärkt und gleichsam geweiht werden“ (Gaudium et spes 48); sie werden in der Zeugung und Erziehung ihrer Kinder zu Mitwirkenden (cooperatores) der Liebe Gottes, des Schöpfers, und gewissermaßen zu Interpreten (interpretes) seiner Liebe (Gaudium et spes 50).

2. Anthropologie der Ehe
Wer über die Ehe nachdenkt, kommt nicht umhin, zuerst über das Menschsein, über das Wesen des Menschen oder seine Natur nachzudenken: Wer bin ich? Was ist der Mensch? Wie ist gut zu leben? Was ist die Bestimmung des Menschen? Die Bibel antwortet: Der Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen, nach seinem Bild und Gleichnis (Gen 1,26f.). Gott selbst ist die Liebe (1 Joh 4,16). Der eine Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde ist und damit der Gott aller Menschen, ist nicht nur Logos, die ewige Vernunft am Grund aller Dinge, sondern auch die Liebe. Gott liebt die Menschen, und zwar in all ihren Dimensionen – erwählend, schenkend und auch leidenschaftlich:

„Daher ist die Berufung zur Liebe das, was den Menschen zum echten Ebenbild Gottes macht: Er wird in dem Maße Gott ähnlich, in dem er ein Liebender ist.“

Schreiben von Benedikt XVI. bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie am 06.06.2005

Die Krise von Ehe und Familie liegt letztlich darin begründet, dass viele Menschen in Bezug auf diese grundlegenden Fragen unsicher geworden sind, also über das Menschsein selbst: Kann man sich überhaupt für immer binden? Kann man ein Kind in eine ungewisse Zukunft schicken? Ist es überhaupt gut, ein Mensch zu sein? Die anthropologischen Überlegungen von Benedikt XVI. kreisen um zwei Themen. Zum einen um das Verhältnis von Freiheit, Selbstverwirklichung und Bindung:

„Da ist zunächst die Frage nach der Bindungsfähigkeit oder nach der Bindungslosigkeit des Menschen. Kann er lebenslang sich binden? Ist das seinem Wesen gemäß? Widerspricht es nicht seiner Freiheit und der Weite seiner Selbstverwirklichung? Wird der Mensch er selber, indem er für sich bleibt und zum anderen nur Beziehungen eingeht, die er jederzeit wieder abbrechen kann? Ist Bindung für ein Leben lang Gegensatz zur Freiheit? Ist die Bindung auch des Leidens wert? Die Absage an die menschliche Bindung, die sich von einem falschen Verständnis der Freiheit und der Selbstverwirklichung her wie in der Flucht vor der Geduld des Leidens immer mehr ausbreitet, bedeutet, daß der Mensch in sich bleibt und sein Ich letztlich für sich selbst behält, es nicht wirklich überschreitet. Aber nur im Geben seiner Selbst kommt der Mensch zu sich selbst, und nur indem er sich dem anderen, den anderen, den Kindern, der Familie öffnet, nur indem er im Leiden sich selbst verändern läßt, entdeckt er die Weite des Menschseins.“

Ansprache von Benedikt XVI. beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium, die Mitglieder der Römischen Kurie und der Päpstlichen Familie am 21.12.2012

Das zweite, große Thema ist das Verhältnis von begehrender Liebe (Eros) und schenkender Liebe (Agape), die beide nicht einander entgegengesetzt und gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern letztlich – wie Schöpfung und Bund – eine besondere Einheit bilden:

„Ja, Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, uns über uns selbst hinausführen, aber gerade darum verlangt er einen Weg des Aufstiegs, der Verzichte, der Reinigungen und Heilungen.“ Diese gereinigte Liebe wird „nun Sorge um den anderen und für den anderen. Sie will nicht mehr sich selbst – das Versinken in der Trunkenheit des Glücks –, sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja sie will es. Zu den Aufstiegen der Liebe und ihren inneren Reinigungen gehört es, daß Liebe nun Endgültigkeit will, und zwar in doppeltem Sinn: im Sinn der Ausschließlichkeit – ’nur dieser eine Mensch‘ – und im Sinn des ‚für immer‘. Sie umfasst das Ganze der Existenz in allen ihren Dimensionen, auch in derjenigen der Zeit. Das kann nicht anders sein, weil ihre Verheißung auf das Endgültige zielt: Liebe zielt auf Ewigkeit. Ja, Liebe ist ‚Ekstase‘, aber Ekstase nicht im Sinn des rauschhaften Augenblicks, sondern Ekstase als ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes: ‚Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen‘ (Lk 17,33).“

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„In Wirklichkeit lassen sich Eros und Agape – aufsteigende und absteigende Liebe – niemals ganz voneinander trennen. Je mehr beide in unterschiedlichen Dimensionen in der einen Wirklichkeit Liebe in die rechte Einheit miteinander treten, desto mehr verwirklicht sich das wahre Wesen von Liebe überhaupt. Wenn Eros zunächst vor allem verlangend, aufsteigend ist – Faszination durch die große Verheißung des Glücks – so wird er im Zugehen auf den anderen immer weniger nach sich selber fragen, immer mehr das Glück des anderen wollen, immer mehr sich um ihn sorgen, sich schenken, für ihn da sein wollen. Das Moment der Agape tritt in ihn ein, andernfalls verfällt er und verliert auch sein eigenes Wesen. Umgekehrt ist es aber auch dem Menschen unmöglich, einzig in der schenkenden, absteigenden Liebe zu leben. Er kann nicht immer nur geben, er muss auch empfangen. Wer Liebe schenken will, muss selbst mit ihr beschenkt werden.“

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„Der Eros ist gleichsam wesensmäßig im Menschen selbst verankert; Adam ist auf der Suche und ‚verläßt Vater und Mutter‘, um die Frau zu finden; erst gemeinsam stellen beide die Ganzheit des Menschseins dar, werden ‚ein Fleisch‘ miteinander. Nicht minder wichtig ist das zweite: Der Eros verweist von der Schöpfung her den Menschen auf die Ehe, auf eine Bindung, zu der Einzigkeit und Endgültigkeit gehören. So, nur so erfüllt sich seine innere Weisung. Dem monotheistischen Gottesbild entspricht die monogame Ehe. Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: Die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe.“

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3. Ehe und Glaube
Der Mensch steht nicht als einsames Individuum einem schweigenden Gott gegenüber. Vielmehr entsteht aus der fundamentalen Verbindung zwischen Gott und dem Menschen, die in der Gottesebenbildlichkeit begründet ist und in der Liebe verwirklicht wird, sowie aus der unauflöslichen Verbindung zwischen Leib und Geist im Menschen selbst, eine dritte Verbindung: die Verbindung zwischen Person und Institution, die durch das ‚Ja‘ der Eheleute zueinander zustande kommt und den Raum der Treue bildet.

„Die Ganzheit des Menschen schließt nämlich die Dimension der Zeit ein, und das ‚Ja‘ des Menschen ist ein Hinausgehen über den gegenwärtigen Augenblick: Das ‚Ja‘ bedeutet in seiner Ganzheit ‚immer‘, es bildet den Raum der Treue. Nur innerhalb dieses Raumes kann jener Glaube wachsen, der eine Zukunft bietet und zuläßt, daß die Kinder, Frucht der Liebe, an den Menschen glauben und an dessen Zukunft in schwierigen Zeiten. Die Freiheit des ‚Ja‘ erweist sich somit als Freiheit, die imstande ist, das Endgültige anzunehmen […] Konkret erschließt das persönliche und gegenseitige ‚Ja‘ von Mann und Frau den Raum für die Zukunft, für das wahre Menschsein eines jeden von ihnen und ist zugleich für das Geschenk eines neuen Lebens bestimmt. Daher muß dieses persönliche ‚Ja‘ auch ein öffentlich verantwortetes ‚Ja‘ sein, mit dem die Ehegatten die öffentliche Verantwortung für ihre Treue übernehmen, die auch die Zukunft der Gemeinschaft sichert. Keiner von uns gehört nämlich ausschließlich sich selbst; jeder ist deshalb aufgerufen, in seinem Innersten die eigene öffentliche Verantwortung zu übernehmen.“

Schreiben von Benedikt XVI. bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie
am 06.06.2005

Am Beispiel der Ehe zeigt sich, wie Glaube und Liebe aufeinander verwiesen sind. Die Liebe lässt den Glauben Frucht bringen, sie verlebendigt ihn, und der Glaube weist der Liebe die Richtung, macht sie sehend auf das Wohl des anderen hin:

„Der Glaube ist wichtig zur Umsetzung des wahren ehelichen Guts, das einfach darin besteht, immer und unter allen Umständen das Wohl des anderen zu wollen, zum Zweck eines wahren und unauflöslichen „consortium vitae“. Dem Vorsatz der christlichen Eheleute, eine wahre „communio coniugalis“ zu leben, wohnt in Wahrheit eine dem Glauben eigene Dynamik inne, durch die die „confessio“, die aufrichtige persönliche Antwort auf die Heilsbotschaft, den Gläubigen in Gottes Liebeshandeln einbezieht. „Confessio“ und „caritas“ sind „die beiden Formen, in denen Gott uns einbezieht, uns mit ihm, in ihm und für die Menschheit, für seine Schöpfung handeln läßt …. Die ‚confessio‘ ist nichts Abstraktes, sie ist ‚caritas‘, sie ist Liebe. Nur so ist sie wirklich der Abglanz der göttlichen Wahrheit, die als Wahrheit untrennbar ist von der Liebe.“

Ansprache von Papst Benedikt XVI. zur Eröffnung des Gerichtsjahres der römischen Rota am 26.01.2013

© Stephan Herzberg